Star Trek - Die Kunst von Neville Page

  • Cross Cult
  • Erschienen: November 2024
  • 0
Star Trek - Die Kunst von Neville Page
Star Trek - Die Kunst von Neville Page
Wertung wird geladen
Michael Drewniok
85°1001

Phantastik-Couch Rezension vonJun 2025

E.T.s aus Köpfchen, Computer und Drucker

Wer heutzutage fernsieht (bzw. streamt), erwartet von einer Science-Fiction-Serie Spezialeffekte, die einer zukünftigen Realität - so fiktiv sie sein mag - möglichst nahekommen. Zwar war dies schon immer so, doch dieser Anspruch wird völlig anders definiert als früher. Das „Star-Trek“-Franchise ist der ideale Beweis dafür. Mitte der 1960er Jahre ging die „klassische“ Serie mit Captain Kirk & Co. auf Sendung. Was damals begeistert konsumiert wurde, hat man vor einiger Zeit einer ausgiebigen Nachbearbeitung unterzogen, um die allzu deutlich in die Jahre gekommenen (bzw. mausetoten und somit die weitere lukrative Nutzung behindernden) Tricks zu neuem Leben zu verhelfen: Sie wurden nach altem Vorbild, aber mit digitaler Technik neu kreiert.

Damit schloss sich ein Kreis, den Neville Page nicht mehr in voller Runde gehen musste. Er stieß im 21. Jahrhundert zum Franchise und designte auch Wesen aus fremden Welten, hinter und unter denen leidensfähige Menschen steckten, die sich mit Gummi, Pappmaché u. a. weder hautfreundlichen noch atmungsaktiven Stoffen vollschmieren ließen, um so getarnt (hoffentlich) wie ein Alien zu wirken. (Wer sich bildhaft vorstellen möchte, wie das in der TV-Steinzeit auf dem Bildschirm aussah, schaue sich die „Classic“-Folge „Arena“/„Ganz neue Dimensionen“ an, in der Kirk mit einem „Gorn“ kämpft, dessen ‚Maske‘ heute nicht einmal ein 1-Euro-Laden anbieten würde.) Dann begann in den Studios die digitale Ära.

Page stieg ein, nachdem die Kelvin-Zeitlinie dafür gesorgt hatte, dass die „Star-Trek“-Vergangenheit ein zweites Mal ablaufen (und die Figuren der „klassischen“ Serie mit jüngeren Darstellern neu besetzt werden) konnte. Im Kino sorgte dieser Relaunch für den erwünschten Erfolg und frischen Wind im gesamten ST-Franchise. Neue Serien entstanden, darunter ab 2017 „Star Trek Discovery“. Hier wurde Page der Chefdesigner und blieb für vier der insgesamt fünf Staffeln, bevor er wechselte, aber für „Star Trek: Picard“ dem Team treu blieb.

Die eierlegende Wollmilchsau

„Star Trek“ ist ein Phänomen, das ein quasi-reales Eigenleben gewonnen hat. Es begleitet in seinen unterschiedlichen Inkarnationen die Mehrheit aller derzeit lebenden Menschen. In vielen Jahrzehnten hat es eine Historie entwickelt, die spielend eine eigene Bibliothek füllen könnte. Die echten „Trekker“ sind beinharte (und unleidliche) Kritiker. Sie kennen den Kanon und verlangen dessen Beachtung - ganz besonders, wenn dieser nachträglich erweitert wird. Dieser Faktor hat an Relevanz zugenommen, seit das Franchise auch in der ST-Vergangenheit vor Kirk aktiv geworden ist. Aus Sicht besagter Trekker werden viele Fehler gemacht, was die ‚offizielle‘ ST-Chronik immer wieder durcheinanderbringt.

Besonders der Rückgriff auf schon bekannte Alien-Völker ist problematisch, obwohl sie in ihrer früheren Primitiv-Gestalt (Stichwort Gorn) heute von den Zuschauern nicht mehr akzeptiert würden. So sah der Rollstuhl, in dem zur Zeit der „Classic“-Serie Captain Christopher Pike hocken musste, eher wie eine altmodische Sitzbadewanne aus. Für die zweite Staffel der „Discovery“-Serie baute Page ein neues Modell, das deutlich ‚zukünftiger‘ wirkte, obwohl „Discovery“ (Stichwort Kelvin-Zeitlinie) eigentlich die Vergangenheit der ST-Zukunft darstellt.

In diesem Sinn musste Page oft unterschiedliche Zeiten und Designs möglichst harmonisch miteinander verbinden. Er gestaltete u. a. die Klingonen, die Andorianer, die Orioner, die Romulaner, die Borg und selbst Seven of Nine (für „Star Trek: Picard“)  ‚neu‘ bzw. ‚modernisierte‘ sie, wobei ihm die Evolution der Spezialeffekte Möglichkeiten bot, die nur durch den begrenzten Zeit- und Geldrahmen einer Serienproduktion eingeschränkt wurden. Dies ist auch der Punkt, an dem der Mensch weiterhin gefragt ist: Immer wieder musste Page zwischen Anspruch und Umsetzung Entscheidungen treffen, die jedoch das Endergebnis - ein ‚überzeugendes‘ Alien, Raumschiff oder Einrichtungsobjekt - in seiner Wirkung nicht beeinträchtigen durften.

Eine neue Dimension des Kunsthandwerks

„Die Kunst von Neville Page“ ist ein Buch, das von der Arbeit eines modernen Projektdesigners profitiert. Zwar werden weiterhin Skizzen ganz profan auf Papier geworfen, um Gestaltungsfragen vorzuentscheiden. Die Umsetzung erfolgt jedoch inzwischen am PC, der sämtliche Arbeitsschritte in seinem Speicher hortet. So konnte für diese Publikation auf einen Materialbestand zurückgegriffen werden, der über das auf dem Bildschirm gezeigte Finaldesign weit hinausgeht.

Der Computer ersetzt (noch) nicht die menschliche Vorstellungskraft. Dieser Input ist unerlässlich für eine digitale Technik, die zwar Perfektion liefern kann, der aber Überzeugungskraft weiterhin im Feinschliff eingehaucht werden muss - ein Prozess, der die Kirk-Kleckserei mit Malfarben, Fensterkitt-Make-up oder groben Plastikmodellen im Bund mit dem 3D-Druck weitgehend ersetzt hat. Dies vereinfacht oder beschleunigt die Arbeit an sich allerdings nicht. Mit den Möglichkeiten wachsen die Begehrlichkeiten: Was können wir noch erschaffen, das es so noch nie zu sehen gab? Das aktuelle Optimum stellt womöglich noch immer die in diesem Buch ausführlich vorgestellte klingonische „Fackelträger“-Rüstung dar, die sich Page für die „Discovery“-Serie einfallen ließ: Je stärker man die Einzelteile vergrößert, desto mehr Details tauchen auf; ein Aufwand, der in dieser Wucht in den bewegten Bildern nicht einmal sichtbar ist, aber den Schöpfer zufriedenstellt.

Das vorliegende Buch wird dieser Detailpräzision vollauf gerecht. Wieder einmal kam dickes, niemals durchscheinendes Papier zum Einsatz, das sich zudem großflächig in dunklen oder Schwarztönen einfärben ließ, ohne selbst winzige Schrift ‚absaufen‘ zu lassen. Die Wiedergabequalität der ausgewählten Digital-Entwürfe und Fotos ist außerordentlich hoch, was durch das großzügige Format (31 x 25,5 cm) umso besser zu Geltung kommt. Das Design ist dezent, aber prägend und steigert die Aussagekraft der Abbildungen. Die komplexen Fortschritte der dahintersteckenden Technik werden anschaulich beschrieben, wobei immer wieder auf die Dreharbeiten und die darin eingebundenen Menschen vor und hinter der Kamera ‚umgeblendet‘ wird. Der Autor macht klar: Pragmatismus kämpft nicht mit oder gar gegen Anspruch, sondern verbündet sich mit ihm. Das mag im Detail geschönt sein, da interne Konflikte nicht ausbleiben dürften, erscheint jedoch trotzdem plausibel.

Fazit:

‚Reale‘ Science Fiction ist die Domäne von Spezialisten, deren Arbeit am besten ist, wenn man sie als solche gar nicht wahrnimmt: Auch dieser Band gibt mit der vom Verlag gewohnten Qualität und Klasse Einblicke hinter die Kulissen der „Star-Trek“-Produktion. Eine Tätigkeit, die scheinbar am PC erledigt wird, stellt sich als Baustein eines Netzwerks von Menschen dar, die sich dieser Herausforderung gern stellen.

Star Trek - Die Kunst von Neville Page

Joe Nazzaro, Cross Cult

Star Trek - Die Kunst von Neville Page

Deine Meinung zu »Star Trek - Die Kunst von Neville Page«

Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!

Letzte Kommentare:
Loading
Loading
Letzte Kommentare:
Loading
Loading

Sci-Fi & Mystery
(MUSIC.FOR.BOOKS)

Du hast das Buch. Wir haben den Soundtrack. Jetzt kannst Du beim Lesen noch mehr eintauchen in die Geschichte. Thematisch abgestimmte Kompositionen bieten Dir die passende Klangkulisse für noch mehr Atmosphäre auf jeder Seite.

Sci-Fi & Mystery