Das Septemberhaus

  • Festa
  • Erschienen: März 2025
  • 1
Das Septemberhaus
Das Septemberhaus
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Michael Drewniok
90°1001

Phantastik-Couch Rezension vonJun 2025

Traumhaus mit intensivem Geisterbefall

Nach vielen Jahren ist es Hal und vor allem Margaret gelungen, ihr viktorianisches Traumhaus zu finden. Es steht abgelegen, ist in ausgezeichnetem Zustand und so kostengünstig, dass das Ehepaar sofort zugreift - zur Erleichterung der Maklerin, die aus gutem Grund nur schwammig auf die Vergangenheit des Hauses eingeht: Seit es vor 130 Jahren erbaut wurde, waren seine Bewohner nicht nur vom Pech, sondern auch vom Tod verfolgt.

Verantwortlich ist wohl das Ding im Keller, über das Margaret nie Genaues in Erfahrung bringen konnte. Kommt es aus seinem Versteck, ergreifen Grauen und Mordlust die Hausbewohner. Wer auf meist entsetzliche Weise gestorben ist, kehrt als Gespenst zurück und wandelt durch die Räume. Zusätzlich rinnt im September Blut die Wände herab, das mit Beginn des Oktobers spurlos verschwindet, und schreckliches Stöhnen hallt im Haus wider.

Vier Jahre haben Hal und Margaret dem Schrecken standgehalten. Vor allem Hal tat sich schwer, an Spuk zu glauben. Vor einem Monat hat er aufgegeben und ist aus dem Haus geflüchtet. Margaret blieb zurück; sie denkt gar nicht daran, ihr Traumhaus zu verlassen. Mit dem Spuk hat sie sich arrangiert; die tote Haushälterin Fredricka mit dem axtgespaltenen Schädel ist sogar so etwas wie eine Freundin geworden.

Schlimm ist wie gesagt der September. Dieses Mal stehen die Zeichen erst recht auf Sturm: Tochter Katherine hat erfahren, dass ihr Vater ‚ausgezogen‘ ist. Nun wird sie die Mutter besuchen und dabei zum ersten Mal das Haus betreten. Katherine weiß nichts von den Geistern, und Margaret bleiben kaum Zeit für Vorbereitungen, deren Fragwürdigkeit sich nur zu bald offenbart ...

Dies ist mein Haus!

Der Satz fasst zusammen, was normalerweise die Gespenster eines Spukhauses bewegt: Sie haben einst hier her gelebt und sind in der Regel auch hier gestorben; dies oft unter hässlichen Umständen, was die Bindung zum Haus noch einmal verstärkt. Es ist so etwas wie eine Vorschrift, dass man dort umgehen muss, wo man zu Tode kam. Das Lebensende hat bestimmte Vorgaben zu erfüllen; ein juristisch und moralisch einwandfreies Sterben, ein offizielles Grab sowie ein geregelter Nachlass gehören zwingend dazu.

Wer in dieser Hinsicht ‚versagt‘, muss spuken. Dabei ist es gleichgültig, ob man am besagten Übel-Ende eine Schuld trägt. Mitgefangen, mitgehangen: So einfach und finster geht es im Reich zwischen Leben und Tod zu. Seine Ruhe hat man erst, wenn man ins „weiße Licht“ gehen und den Schergen des Bösen entwischen kann, denn deren Tentakelklauen reichen nicht bis ins eigentliche Nirwana.

Gekniffen sind ebenfalls jene, die es lebendig in ein Spukhaus verschlägt. Hal und Margaret repräsentieren die üblichen Pechvögel, die nur das schöne, große Haus und die erfreulich niedrige Rechnung sehen. Sobald sie eingezogen sind, folgt bald die Reue. Zunächst halten sich die eigentlichen Bewohner zurück bzw. laufen sich warm, indem sie Möbelstücke verrücken, kalte Winde durch die Räume streichen lassen oder unheilverkündend stöhnen. Dem folgt eine Phase des Unglaubens seitens der neuen Eigentümer, die an Irrtum oder Erdstrahlen glauben (wollen). Schließlich offenbart sich der Spuk, und es geht körperverletzend zur Sache.

Last Man/Woman/Ghost Standing

Dieses erzählerische Grundschema bestimmt die meisten Spukhaus-Geschichten. Tatsächlich wird es oft zu einem Baukasten, aus dessen Fächern sich uninspirierte Autoren bedienen. Es ist deshalb kein Wunder, dass diese Art der „ghost story“ sich als ideales Feld für KI-‚Literatur‘ erwiesen hat: Aus den USA kam unlängst eine inzwischen weit über 100 Bände zählende Reihe mit dem Obertitel „A Riveting Haunted House Mystery Series“ als „Ein fesselndes Spukhaus-Mysterium“ zu und über uns. Sogenannte ‚Autoren‘ füttern der KI einen Handlungsort (Landhaus, Hotel, Schloss etc.) sowie die Art des auftretenden Phantoms ein. Die KI spuckt eine Rohstory aus, in die unsere ‚Autoren‘ die Namen der Figuren eintragen. (Auch die ‚Übersetzung‘ erledigt die KI, was man während der Lektüre aufgrund der manchmal unfreiwillig wirklich urkomischen ‚Verdeutschlichungen‘ bemerken kann und sollte.)

Carissa Orlando - die tatsächlich so heißt und hauptberuflich als Dozentin für Psychologie an der University of South California beschäftigt ist - geht das Risiko ein, den Spukhaus-Plot auf den Kopf zu stellen. Wie sich herausstellt, funktioniert das hervorragend, weil dahinter echtes Erzähltalent steht. Dies erfreut ein Publikum, das zwar Spuk liebt, aber schmerzhaft seufzt, wenn es schon wieder mit dem üblich gewordenen Retortengrusel belästigt wird.

In einem kurzen Prolog handelt die Autorin die typische Vorgeschichte ab. Als das erste Kapitel beginnt, werden wir verzögerungsfrei in eine Gegenwart geworfen, in der sich der Spuk längst zu einem elementaren Problem entwickelt hat. Wer sein Unwesen treibt, stellt sich in der laufenden Handlung vor. Diverse Rückblenden sorgen für zusätzliche Informationen, ohne dass Orlando sich in angestrengtem Buh!-Schüren verzettelt.

Keinen Schritt zurückweichen

„Das Septemberhaus“ erzählt mehr als die Geschichte eines verfluchten Hauses: Die menschliche Bewohnerin ist den Geistern in Sachen Starrsinn und Widerstandskraft mindestens gewachsen! Margaret ist keine ‚normale‘ Frau und nicht wegen der Geister ein Opfer. Der starke Mann an ihrer Seite - als Stereotyp viel zu oft in einer solchen „ghost story“ anwesend - ist buchstäblich abgehauen, weil er den Geisterterror nicht mehr ertrug.

Zurück blieb Margaret, und die gedenkt weder zu weichen noch sich umbringen zu lassen! Nichtsdestotrotz ist auch sie eine Gefangene des Hauses, weil sie bereit ist, sich dessen ‚Regeln‘ zu unterwerfen: „Die verkohlten Überreste einer Frau, die mit Klauen statt Händen aus dem Kamin krabbelt und schreit und Fußabdrücke aus Asche an den Wänden hinterlässt, sobald ein Feuer entzündet wird? Dann hört man eben auf, Feuer zu machen.“ (S. 115) So geht Margaret seit jeher ihre Probleme an, die nicht mit dem aktuellen Geisterbefall begannen, sondern sie lange vorher als misshandelte Ehefrau eines alkoholsüchtigen Mannes und überforderte Mutter verfolgt hatten.

Ungeachtet der tragischen Untertöne erzählt Orlando ihre Geschichte mit trocknem, sarkastischem Humor. Man kann sich mit Gespenstern arrangieren, lässt man sich auf sie ein. Will man ihre Anwesenheit verbergen, entspinnen sich slapstickhafte Szenen: Während die Geister des Hauses ihr Unwesen treiben, bemüht sich Margaret, ihre stets argwöhnische Tochter abzulenken. Mit fortschreitendem September ist dies eine unmögliche Herausforderung, zumal Master Vale - das Ding im Keller - sich dieses Mal nicht mehr dort festhalten lässt.

Eine Frage der Perspektive

Im letzten Drittel stellt Orlando das Geschehen in Frage - ein echter Twist, der aus der Vorgeschichte logisch zu begründen ist und ein völlig neues Licht auf den ‚Spuk‘ wirft. Als wir ihr ins Netz gegangen sind, wirft die Autorin das Steuer noch einmal herum und straft uns Klein- und Leichtgläubige Lügen. Jetzt geht es zur Sache! Wer zuvor einschlägige Drastik vermisst haben sollte, wird nun mehr als entschädigt. Das Ende ist trügerisch glücklich, denn wir verlassen die Überlebenden in dem kurzen Moment der Ruhe zwischen Ausbruch der Hölle und Reaktion der (öffentlichen) Realität, denen ein Schlachthaus erklärt werden muss.

Das Spiel mit dem Genre, dessen Elemente nicht verspottet, sondern hinterfragt und umgekrempelt werden, ist schwierig, der Grat zwischen liebevoller Hommage und unverhohlener Lächerlichkeit schmal. Wie beispielsweise T. Kingfisher erweist sich Orlando bereits in ihrem Romandebüt als erstaunlich trittsicher. Immer wieder unterläuft sie unsere Erwartungen.

Die Dramatik liegt auch im ungewöhnlichen Mit- und Gegeneinander lebender und toter Protagonisten. Zwischen Spuk und Realität verschwimmen die Grenzen immer stärker.  Die wenigen Informationen über die Vorgeschichte des Hauses führen nicht unbedingt in eine Sackgasse, sondern auf einen verhängnisvollen Irrweg. So nimmt das Drama seinen Lauf - langsam, aber unerbittlich, ohne Längen und in einem irrwitzigen Final-Höhepunkt gipfelnd.

Fazit:

Die typischen Spukhaus-Klischees nicht meidend, sondern geschickt neu interpretierend, entfesselt die Autorin einen Spuk, der auch auf Wahnsinn basieren könnte. Als die Entscheidung fällt, ist die Ausführung mehr als konsequent und sorgt für blanken Irrwitz: eine richtig gute Geistergeschichte!

Das Septemberhaus

Carissa Orlando, Festa

Das Septemberhaus

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